Tagung: Vom Gegenstand zum Exponat
Kunstwissenschaftliche Tagung der Kunsthochschule Kassel in der Universität Kassel vom 29.11.2019 bis 01.12.2019 in den Räumen des Kasseler Kunstvereins im Museum Fridericianum Kassel
Eine internationale Tagung, die als Teil des Forschungsprojektes eingeplant war, war insofern ein zentrales Ereignis des Projektes, da es - ausgehend von dem historischen Fallbeispiel des ‚Raumes für konstruktive Kunst' (1926) von El Lissitzky - die Eigensprachlichkeit des Exponats gegenüber dem kuratorischen wie szenografischen Zugriff aus verschiedenen Perspektiven thematisierte. Mit Blick auf diesen interdisziplinären Konzept wurden insgesamt vier thematische Panels entwickelt und namhafte internationale Experten und Expertinnen eingeladen. Innerhalb dieser Panels waren die institutionellen Herkünfte ebenfalls gemischt: Wissenschaft, Museum, Ausstellungsdesign waren personell stets auf allen Panels vertreten. Durch diese Vielfalt und Zeitstruktur konnten stets Querverweise auf die jeweils anderen Panels unternommen werden.
Die Tagung startete thematisch mit El Lissitzky, Panel 1: Verschiedene Experten und Expertinnen legten ihre Untersuchungen und Deutungen über Lissitzky, den Raum für konstruktive Kunst und die Internationale Kunstausstellung Dresden 1926 dar. In der Diskussion wurden die Entstehungszusammenhänge erläutert und die Wechselwirkungen zwischen Raumdesign und künstlerischen Exponaten erörtert. Auf dem Podium sprachen:
Dr. Willem Jan Renders, Van Abbemuseum Eindhoven, Niederlande
Moderation: Linda Knop, M.A., Kunstwissenschaft Kassel, Deutschland
Das zweite Panel war schlicht mit ‚Moderne' betitelt und widmete sich der kuratorischen Praxis aus dem Blickwinkel einer 200-jährigen Moderne. Beginnend mit dem Kuratorenstreit zwischen Mannlich (München) und Mechel (Wien) um 1800 wurde die kuratorische Praxis zu einem Verhandlungsort von Konzepten. Ist die kuratorische Praxis ein Indiz für eine existente und funktionierende Moderne? Steht sie faktisch wie symbolisch für eine diskursive öffentliche Sphäre, in der auch gesellschaftsrelevante Fragestellungen in Einvernehmen mit der Kunst erörtert werden? Können beispielsweise in der Konzeption und Ästhetik von kuratorischen Szenografien Hinweise auf eine implizit/explizit existente Gesellschaftskritik entdeckt werden? Auf dem Podium diskutierten:
Das dritte Panel namens ‚Kuration’ öffnete den Blick auf die kuratorische Theorie und Praxis der Gegenwart. Ist die Kuration eine selbstgenügsame Berufstätigkeit? Welche Chancen und Möglichkeiten besonders auch mit Blick auf gesellschaftskritische Fragestellungen bietet die kuratorische Praxis? Thesenhaft kann aufgeworfen werden, dass die kuratorische Szenografie in Museen und Ausstellungen indikatorisch für einen Ist- und Soll-Zustand einer Gesellschaft stehen kann und als ‚sensuelle Diskurse' Impulse zu geben vermag. Dieses Panel wurde bestritten von:
Dr. Nirith Nelson, Bezalel Academy Jerusalem, Israel
Dr. Tatjana Goriacheva, Staatliche Tretakov Galerie, Moskau, Russland
Prof. Dr. Kai-Uwe Hemken, Kunstwissenschaft Kassel, Deutschland
Das vierte Panel kehrte zu den Grundsatzfragen der Panels 2 und 3 zu dem Ausgangspunkt des Forschungsprojektes zurück: Szenografie. Dem Ausstellungsdesign entwachsen, wird die Szenografie in kuratorischen Prozessen zu einer gleichrangigen Entität, die - mit ästhetischer Aussagekraft ausgestattet - eine eigene Argumentation im Gefüge von Kuration, Kunst und Institution vorträgt. An dieser Stelle kehren wir thematisch zum historischen Fallbeispiel und dem Förderprogramm ‚Sprache der Objekte' zurück: Besitzt das Exponat eine eigene souveräne wie autonome Sprache und kann sich gegenüber vermeintlichen szenografischen Okkupationen behaupten? Folgende Experten und Expertinnen beleuchteten dieses Themenfeld:
Prof. Dr. Hans Dieter Huber, Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart, Deutschland
Prof. Dr. Birgit Wiens, Ludwig-Maximilians-Universität München, Deutschland
Dr. Simon Großpietsch, Kunstwissenschaft Kassel, Deutschland
Am 30.11.2019 wurde ein Abendvortrag von Prof. Chris Dercon aus Paris, Frankreich, veranstaltet, der den Diskussionen weitere Impulse gab.
Auf der Tagung wurden weitere Teilprojekte sowie begleitende Projekte vorgestellt: U.a. hat die Kunstwissenschaft (Prof. Dr. Hemken und sein Team) verschiedene VR-Rekonstruktionen präsentiert, darunter mehrere virtuelle Rekonstruktionen beispielsweise des ‚Raumes für konstruktive Kunst’ , der ersten documenta 1955, für die die Internationale Kunstausstellung 1926 in Dresden als Referenz diente, und der Ausstellung ‚Film und Foto' (Raum 1, Moholy-Nagy), auf der auch Lissitzky den Ausstellungsraum mit Fotos und Filmen der russischen Avantgarde eingerichtet hatte. Die virtuellen Rekonstruktionen wurden wissenschaftsbasiert mit Simon-Lennert Raesch M.Sc. von der Software Engineering Research Group der Universität Kassel realisiert.